1 Klimaschutz ohne wenn und aber – Auf dem Weg zur solaren Gesellschaft Leitprojekte einer Neuen Ökologischen Politik Bericht des Forum „Neue Ökologiepolitik“ von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Berlin, Oktober 2007 Dem Forum gehörten an: Reinhard Bütikofer und Reinhard Loske (Vorsitzende), Michael Cramer, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, Michaele Hustedt, Arndt Klocke, Renate Künast, Steffi Lemke, Ingrid Nestle, Hermann E. Ott, Paula Riester, Roland Schaeffer, Michael Schäfer, Harald Schwalbe, Doro Steiner, Barbara Unmüßig, Conni Ziehm 2 Inhalt I. Vorbemerkung ...............................................................................................................3 II. Klimaschutz ohne wenn und aber - Auf dem Weg zur solaren Gesellschaft...................6 III. Grüne Energie: Den Übergang gestalten.......................................................................9 ?? Besser Leben und gute Arbeit ohne Kohle – Neue Kohlekraftwerke verhindern ?? 100% erneuerbare Energien – Die Zukunft in Deutschland früher beginnen ?? Klimaschutz gerecht – Modell für einen Öko-Bonus entwickeln ?? Vielfalt der Lebensstile erhalten ?? Gleiche Emissionsrechte für alle IV. Grüne Mobilität: Lebensqualität zurückerobern .........................................................13 ?? Lebensqualität in grünen Städten – Stadtmobilität der Zukunft ?? Green Car – Individualverkehr klimaverträglich machen ?? Die Bahn - Erlösung von fast allen Lastern ?? Mobilitätssubventionen abbauen: Flugbenzin besteuern V. Vielfalt des Lebens .....................................................................................................17 ?? Ein grünes Netz für Europa - Natur schützen, Wildnis wagen ?? Genuss statt Raubbau – gesund, ökologisch, gentechnikfrei ?? Gegen eine Monopolisierung der biologischen Vielfalt ?? Schluss mit dem Import klimazerstörender Produkte VI. Schlussbemerkung .....................................................................................................22 3 I. Vorbemerkung Der Klimawandel ist in vollem Gange. Die Klimasysteme sind aus dem Gleichgewicht geraten. Erstmals seit Jahrhunderten ist die Nordwest-Passage eisfrei. Afrika leidet unter katastrophalen Dürren – und sintflutartigen Überschwemmungen. Welten verändern sich in beängstigender Weise – die Gletscher in den Alpen, die Eislandschaften in Arktis und Antarktis, die riesigen Wälder des Tropengürtels und die borealen Wälder Sibiriens. Milliarden Tonnen von Treibhausgasen, freigesetzt durch den Menschen, tun ihre Wirkung. Die menschliche, soziale und wirtschaftliche Entwicklung ist vielerorts rückläufig und die Vielfalt des Lebens von Tieren und Pflanzen erleidet unwiederbringliche Verluste. Allen menschlichen Machtphantasien zum Trotz, ist unser Leben und Wirtschaften in eine ökologische Nische eingepasst: Anpassung an grundlegende Veränderungen ist nur begrenzt möglich. Die „Dienstleistungen“ der Natur werden nicht auf Befehl erbracht; sie auch nur teilweise zu ersetzen, ist extrem teuer. Dass der Klimawandel 20 Prozent des globalen Bruttosozialproduktes kosten könne, wie Sir Nicholas Stern meint, ist eine wichtige und dennoch unzureichende Rechnung. Wenn ganze Inselgruppen und Teile dicht besiedelter Kontinente nicht mehr bewohnbar sind, wenn das Leben in wärmeren Gegenden durch Hitze und Wassermangel unerträglich wird, wenn die natürlichen Welten der Arktis, der Regenwälder und der Gletscher nicht mehr existieren, lässt sich der Verlust nicht in Geld bemessen. Die Begrenzung des Temperaturanstieges auf zwei Grad – und auf längere Sicht die Stabilisierung der Temperaturentwicklung - ist deshalb ein ehrgeiziges, aber auch ein unverzichtbares Ziel. Wird es nicht erreicht, verändert sich der Planet in einem in historischer Zeit unbekanntem Ausmaß – mit allen Konsequenzen einer gigantischen sozialen und ökologischen Katastrophe. Dabei ist Klimawandel kein Schicksal. Die Zeiten sind vorbei, als man glaubte, nur durch fossile Energien und Emission von Treibhausgasen könne „Reichtum“ entstehen. Tatsächlich ist die unendliche Vielfalt der menschlichen Lebensweisen, sind die Hochkulturen Asiens und Amerikas, sind die klassischen Werke Europas - von Homer bis Goethe - ohne große Mengen zerstörerischer Treibhausgasemission möglich gewesen. Auch heute ist eine energieintelligente Kultur technisch wieder möglich. Das in den Industrieländern bestehende Kulturniveau kann aber nur durch regenerative Energien, Energieeinsparung und Effizienzsteigerung erhalten werden – und für die Entwicklungsund Schwellenländer sind sie der einzig denkbare Weg zu mehr Wohlstand. Eine neue, ökologische Technikkultur hat seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts den Umgang mit Energie völlig verändert. Die Entwicklungen bei den Steuerungstechnologien, der solaren Energiegewinnung, der Gebäudeisolation, bei den Antriebs- und 4 Speichertechniken sorgen dafür, dass das Potential für die Stromerzeugung aus Wind und Sonne heute um ein vielfaches größer ist als der Energieverbrauch. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben z.B. mit dem Erneuerbare Energien-Gesetz und der Ökosteuer dazu beigetragen, dass man inzwischen von einer Energierevolution sprechen kann, die weltweit zum Erfolgsmodell wurde. Zehntausende Menschen in Mittel- und Nordeuropa wohnen in Häusern, die praktisch keine Heizung benötigen, Fahrzeuge bewegen sich mit Solar- und Windstrom, Biomasse ermöglicht CO2-freie Gasgewinnung. Neue, klimafreundliche Lebensstile verbreiten sich zunehmend. Stromproduktion kommt ohne Landschaftszerstörung und atomare Großrisiken aus, die Mobilität passt sich den Bedürfnissen der Menschen – und der Städte! – an, lokale Vielfalt regionaler Ressourcen wird wieder wertgeschätzt, der Wildnis wird der nötige Platz gelassen – und aus all dem entstehen wirtschaftliche Chancen und gute Arbeitsplätze. Es liegt ein großes Land der Möglichkeiten vor uns. Wir müssen uns nur entscheiden, es entdecken zu wollen. Aber es geht zu langsam. Die fossilen Strukturen sind an unzähligen Stellen mit unserem Alltagsleben, mit unseren Vorstellungen von gesellschaftlichem Erfolg, mit den wirtschaftlichen und politischen Institutionen verbunden. Mächtige wirtschaftliche und politische Interessen verhindern, dass fossil-atomare Technologien aufgegeben und Infrastrukturen erneuert werden. Ängste werden mobilisiert. Tatsächlich ist nichts sicherer als Wind, Sonne, Erdwärme und Effizienz. Trotzdem werden im Namen von „Energiesicherheit“ riesige neue Kohlenstofflager erschlossen. Was Mutter Natur in einer Million Jahren durch Photosynthese und anschließende Fossilierung der abgestorbenen Pflanzen an Kohle, Öl und Gas geschaffen hat, heben wir heute innerhalb eines Jahres von ihrem Sparbuch ab, und der globale Verbrauch weist weiter steil nach oben. Zu glauben, es reiche aus auf dieser fossilen Autobahn weiterzufahren und parallel einen regenerativen Trampelpfad einzurichten, ist eine Illusion: Ohne eine bewusste und konsequente Entscheidung für einen neuen, CO2-freien und solarintelligenten Weg, wird die Veränderung erst dann stattfinden, wenn die letzten Kohlenstofflager geplündert sind. Die Veränderung, um die es geht, entspricht in ihrer Reichweite der industriellen Revolution und die Menschheit hat nur wenig Zeit, 15 Jahre vielleicht, diese ökologische Revolution anzupacken. Für die öffentliche Meinung stellen sich zwar heute alle Parteien in Deutschland, als „Klimaparteien“ dar, aber es genügt ein kurzer Blick auf das praktische Handeln, um zu erkennen: es passt nicht mit den Sonntagsreden zusammen. Öko-Autos fordern und die größten Spritschlucker per Dienstwagenprivileg subventionieren, CO2-Einsparung fordern und Kohlekraftwerke bauen, eine neue Energieinfrastruktur fordern und das Netzmonopol gegen die Reformpläne der EU verteidigen, das sind nur Beispiele für die allgegenwärtige Vermischung von „Grün-Sprech“ mit tatsächlichem „Weiter so!“. Ohne eine aktive Führungsrolle von uns Bündnisgrünen wird in der Klimapolitik unseres Landes der Aufbruch nicht gelingen – hehren Zielen und hohen Gipfeln zum Trotz. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind die Partei des Überganges zur solaren Gesellschaft, die ökologisch ist, weil sie CO2-frei und ohne das atomare Risiko Energie erzeugt. Dabei wissen wir: Gelingen wird dieser Übergang nur, wenn er mehr soziale Gerechtigkeit und mehr gesellschaftliche Freiheit ermöglicht – anstatt die Schere zwischen Armen und 5 Reichen, zwischen Mächtigen und Machtlosen, weiter zu öffnen. Der Klimawandel stellt die soziale Frage neu, Klimapolitik wird sie beantworten müssen. Deutschland und Europa kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Die BDK in Köln im Dezember letzten Jahres hat den Bundesvorstand beauftragt, ein Forum „Neue Ökologische Politik“ einzuberufen. Das Forum hat in acht gemeinsamen Sitzungen diskutiert, drei davon unter Einbeziehung eines weiteren Kreises von Expertinnen und Experten, und diesen Bericht erstellt. Dafür möchten wir uns bei den Mitgliedern des Forums und bei den zahlreichen Gästen, die unsere Diskussion befruchtet haben, sehr herzlich bedanken. Wir haben in Köln beschlossen, dass eine „Politik auf Augenhöhe der ökologischen Herausforderungen“ notwendig ist und dass es unsere Aufgabe als Grüne ist, „deutlich zu sagen, was ist, was werden könnte, wenn nicht gehandelt wird, und was zu tun ist.“ Wir haben einen „neuen Realismus in der Ökologiepolitik“ gefordert, „weil die Annahmen, die bisher gemacht wurden, nicht realistisch waren.“ Die Kernbotschaft unseres Beschlusses, „Neuer Realismus und neue Radikalität sind in der ökologischen Frage heute zwei Begriffe für ein und denselben Sachverhalt.“, hat eine begriffliche Orientierung für die Entwicklung der Klimadebatte in diesem Jahr geschaffen und die Grundlage für diesen Bericht gebildet. Der folgende Text beschränkt sich bewusst auf drei Themenfelder: Die drohende Klimaveränderung, die Mobilität von Gütern und Menschen sowie die Zerstörung der biologischen Vielfalt des Planeten. Andere Handlungsfelder wie der Bodenschutz, die Kreislaufwirtschaft oder das Zurückdrängen von Giften aller Art werden dadurch nicht in ihrer Bedeutung geschmälert. Auch sind sie selbst auf vielfältige Weise mit den Fragen von Klimaschutz, nachhaltiger Mobilität und Bewahrung der biologischen Vielfalt verbunden. Klimapolitik sozial verantwortlich zu gestalten – das steht im Zentrum der folgenden strategischen Überlegungen und Projekte einer Neuen Ökologischen Politik. Sie verstehen sich als Beitrag zur strategischen Debatte jener globalen Grünen Bewegung, die dafür kämpft, den Übergang zu erleichtern und zu beschleunigen. Denn der Streit ist noch nicht verloren, der Übergang zur solaren Gesellschaft ist möglich. Reinhard Bütikofer Reinhard Loske 6 II. Klimaschutz ohne wenn und aber - Auf dem Weg zur solaren Gesellschaft Leitprojekte einer Neuen Ökologischen Politik Seit der Veröffentlichung der Berichte des UNO-Klimarates (IPCC) 2007 gibt es eine neue Basis und neue Herausforderung für Grüne Klimapolitik. Es gibt für entschiedenes Handeln in Deutschland eine wachsende gesellschaftliche Unterstützung. Aber der Umbruch in der öffentlichen Meinung ändert wenig an den alten politischen Problemen. Von einem wirksamen Klimaprogramm sind die Mehrheitsparteien, dem 40 Prozent Ziel für die CO2- Reduzierungen zum Trotz, weit entfernt. Die Förderung der Energieeinsparung bleibt halbherzig, milliardenschwere Subventionen unterstützen weiter die Klimazerstörung (vom Dienstwagenprivileg bis zum Flugbenzin), riesige Braun- und Steinkohlekraftwerke werden neu gebaut. Die Bürgerinnen und Bürger sind bereit, auch persönliche Anstrengungen zum Schutz des Klimas zu unternehmen. Doch sie warten vergeblich auf verständliche und verlässliche Informationen zur Energieeinsparung im Alltag. Stattdessen wird die Macht der Strom-Oligopole über die Hochspannungsnetze entschlossen gegen die EU-Kommission verteidigt. So können sie nicht nur die regenerative Konkurrenz durch Verknappung der Leitungskapazitäten behindern, sondern auch, über die physische Seite der Stromverteilung hinaus, die gesellschaftliche Zukunftsdebatte steuern. Solarstrom aus Spanien oder Windstrom vom Atlantik? Das gilt als Illusion und ist auch eine – so lange wie solche Pläne an der Realität der alten Strommächte gemessen werden müssen. Heute sprechen alle Parteien von neuen, klimafreundlichen Technologien – zugleich aber schonen die Altparteien klimafeindliche Strukturen. „Energiesicherheit“ – das ist weiterhin die Formel für die Erschließung fossiler Rohstofflager zumeist mit staatlicher Unterstützung oder die Begründung für den wegen vielfältiger, unakzeptabler Risiken abzulehnenden Bau neuer oder Weiterbetrieb alter Atommeiler. Nur BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verstehen unter Sicherheit die Nutzung erneuerbarer Energien und fordern Uran wie Kohlenstoff dort zu lassen wo sie seit Jahrmillionen sicher lagern. Tatsächlich kann es sich keine Gesellschaft leisten, in neue und alte Infrastrukturen zugleich zu investieren. Mutlosigkeit und Innovationsschwäche in Politik und Wirtschaft verzögern den Umbau. Aber der Druck wächst. Die Kampagne gegen neue Kohlekraftwerke, von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN maßgeblich unterstützt, zeitigt erste Erfolge. Etliche Planungen konnten, von Bremen über Bielefeld bis nach Köln, verhindert werden. Und es entsteht eine neue Kultur: Vom Stromwechsel bis zum Schutz der biologischen Vielfalt durch Biolebensmittel hat sich der Alltag verändert. Anders zu leben, das Klima zu schützen, gehört zum modernen Lebensstil. Die folgenden Überlegungen sollen das Grüne Projekt angesichts der Gefahr einer akuten ökologischen Katastrophe stärken. Es ist zwar zu begrüßen, wenn auch andere Parteien das Thema „neu entdecken“ und erste Schritte versuchen – für die notwendige Führungskompetenz beim Klimaschutz wird das aber nicht ausreichen. 7 Deshalb können sich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht auf die herkömmliche Oppositionsrolle beschränken. Wir sind politischer Teil einer Bewegung für Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung, die für die Mehrheit der Bevölkerung spricht. Es reicht uns nicht die Vorschläge der Regierung zu kritisieren und dann Detailalternativen vorzuschlagen. Klimapolitik ist nicht nur Fachpolitik. Wirksame Klimapolitik bedeutet eine Veränderung der technischen und gesellschaftlichen Grundlagen. Das Ziel einer solaren Gesellschaft fordert jede/jeden Einzelnen – und öffnet zugleich völlig neue, individuelle Entscheidungsspielräume. Das Zusammenspiel der Institutionen – Staat, Wirtschaft, Zivilgesellschaft – neu zu justieren, Ziele und Wege zu klären, die Menschen zur Mitgestaltung zu gewinnen – darum geht es und dafür kämpfen wir. Wir, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, setzen uns für die nächsten Jahre deshalb folgende Aufgaben: Wir entwickeln unser Gesellschaftsprojekt weiter und arbeiten an dessen technischen, sozialen und kulturellen Dimensionen. Wie soll die künftige, post-fossile Lebens- und Wirtschaftsweise aussehen? Von welchen sozialen Interessen, kulturellen Vorstellungen, staatlichen Regulierungen, ökonomischen Anreizen und privaten Entscheidungen sollen die neuen Infrastrukturen gesteuert werden – und wie wirken sie ihrerseits auf die gesellschaftliche Entwicklung ein? Wir schaffen Übergänge. Welche Schritte führen weiter, welche Brücken verbinden die alte mit der neuen technischen Konstellation? Welche ökonomischen und sozialen Voraussetzungen sind zu schaffen, damit diese Wege gegangen werden? Wir setzen uns für ein neues Verhältnis zu der gefährdeten und schwer geschädigten Natur ein. Ohne intakte Natur gibt es keinen Wohlstand – und der Verlust der biologischen Vielfalt zerstört das Erbe, das die gegenwärtig Lebenden den zukünftigen Generationen hinterlassen. Wir werden dafür kämpfen, dass national und international endlich wirksam gehandelt wird, um biologische Vielfalt, um Wälder und Meere zu erhalten. Wir mobilisieren die Produktivität und Kreativität der Zivilgesellschaft. Wie können die Bürgerinnen und Bürger, die Wirtschaftsakteure und die Institutionen den Wandel beschleunigen und die Verständigung über Ziele und Wege erleichtern? Notwendig ist eine Bürgerbewegung für Klimaschutz, die einen umfassenden gesellschaftlichen Reformprozess ermöglicht. Bereits heute gibt es, zwischen Heiligendamm und dem Kölner Kirchentag, eine gesellschaftliche Mehrheit für ein solches Projekt. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind in diesem Bereich „hegemonial“. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung traut uns Grünen zu, den Umbau zu schaffen. Das ist eine gewaltige Verantwortung, der wir gemeinsam mit der Umweltbewegung gerecht werden möchten. Wir möchten Menschen überzeugen, die den Mut haben, sich auch große Schritte und ungewohnte Möglichkeiten vorzustellen, die offen sind für große Veränderungen. Solche Veränderungen zu gestalten und zu leben – das zeichnet BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aus. 8 Die Klimapolitik von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird dabei von den folgenden Grundsätzen geleitet Grüne Klimapolitik setzt die ökologischen Ziele als Grundbedingung für das menschliche Leben - nicht als ein Ziel unter mehreren. Die globale Erderwärmung auf nicht mehr als zwei Grad zu beschränken, ist die ökologische Leitplanke jeder wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung. Grüne Klimapolitik vermindert soziale Unterschiede und steht für soziale Gerechtigkeit. Sie sorgt für eine gerechte Verteilung von Lasten und Chancen und für Gerechtigkeit zwischen den Generationen. Grüne Klimapolitik tritt für „Kohlenstoff-Gerechtigkeit“ und damit für globale Gerechtigkeit zwischen Nord und Süd ein. Jeder Mensch hat gleiches Recht an der globalen Atmosphäre. Deshalb unterstützen wir die Festlegung eines gemeinsamen Zielwertes. Die ökologische Leitplanke, der sich die Bevölkerungen der Industrie- und der Schwellenländer annähern sollen, muss mittelfristig noch deutlich unter dem öffentlich diskutierten Ziel von zwei Tonnen CO2 pro Person und Jahr betragen. Grüne Klimapolitik stärkt die politische und wirtschaftliche Freiheit. Wir wollen Entscheidungsmöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger verbessern, die Macht von Oligopolen und Lobbys begrenzen und neue Handlungsoptionen für jede/n Einzelnen eröffnen. Als demokratische Politik aktiviert sie die Bürger und fördert verantwortliches Handeln. Grüne Klimapolitik setzt auf einen selbstbewussten und verantwortlichen Staat, der seine Regulierungsaufgabe aktiv und intelligent wahrnimmt, das globale Gemeineigentum schützt und dafür sorgt, dass alle Menschen gleichberechtigten Zugang zu den natürlichen Ressourcen erhalten. Grüne Klimapolitik nutzt den Wettbewerb und damit den Markt. Sie verbindet ökonomische Vielfalt, ökologische Effizienz und soziale Verantwortung bei der Nutzung und Gewinnung von Energie. Grüne Klimapolitik ist technikfreundlich. Sie nutzt die Möglichkeiten wissenschaftlicher Technikfolgenabschätzung im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung und setzt auf einen schnellen technischen Wandel zugunsten klimaneutraler, sozialverträglicher, umweltfreundlicher und sicherer Technologien. Grüne Klimapolitik ist lobby-unabhängig. Sie bekämpft ökologiefeindliche Unternehmen und Strukturen, fördert den Übergang zu einer grünen Marktwirtschaft. Grüne Klimapolitik handelt international und global. Die Verteidigung der natürlichen Schätze der Menschheit kann nicht an nationalen Grenzen halt machen. Nicht nur die 9 Zusammenarbeit der Staaten und internationalen Organisationen, sondern auch das Handeln der globalen Zivilgesellschaft ist notwendig, um die Klimakrise zu überwinden. III. Grüne Energie: Den Übergang gestalten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kämpfen für die Veränderung der nationalen, europäischen und globalen Machtverteilung zugunsten einer technologischen und politischen Hegemonie neuer Energiestrukturen. Dabei ist Grüne Energiepolitik Politik von unten. Wir setzen auf die Kraft der gesellschaftlichen Mobilisierung und die gegenseitige Überzeugung von Menschen. Wir zeigen, wie die Technik wieder eingeholt werden kann, die uns entlaufen schien. Die Kreativität ist groß: Passivhäuser, solare Energiegewinnung, Biogas- und Biomassenutzung, Windkraft – all das sind nicht nur high-tech-Innovationen von größter ökologischer und wirtschaftlicher Bedeutung, sondern auch Ausdrucksformen einer neuen Kultur, die von der Umwelt – und Anti-AKW-Bewegung hervorgebracht und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aktiv vorangetrieben wurde (nicht zufällig standen erste Prototypen von Windrädern in den 1970er Jahren im Wendland). Heute versorgen sich ganze Kommunen regenerativ, die Betreiber ökologischer Heizungssysteme laden das ganze Dorf zum „Tag der offenen Energieanlage“, BürgerInnen veranstalten „Stromwechselparties“, auf Konzerten wird für das Umsteigen auf Ökostrom geworben. Die Grünen als Kommunalpartei stehen seit Jahren für den klimagerechten Umbau der städtischen Infrastrukturen. Städte werden grün: Angesichts des globalen Städtewachstums gibt es zur Neuplanung bzw. Umgestaltung der Bausubstanz, des Verkehrs und der Verund Entsorgungsstrukturen keine Alternative. Klimaneutralität wird die Städte verändern – und sie wird ihre Lebensqualität verbessern. Klimaschutz muss zu einem zentralen Bestandteil staatlichen und privaten Handelns werden. Deshalb verlangen wir die Aufnahme des Klimaschutzes als Staatsziel in die Verfassung. Sie unterstützt die dringend notwendige Klimaprüfung für alle Politiken und Strukturen hinsichtlich der Frage: Ermöglichen oder verhindern sie eine solare Gesellschaft? Das gilt auch für Gesetze und Verordnungen (vom Bauplanungsrecht bis zum Immissionsschutz) ebenso wie für sämtliche staatlichen Programme und Aktivitäten. Ehrgeizige Klimaziele zu verkünden und gleichzeitig Braun- oder Steinkohle- Kondensationskraftwerke zu ermöglichen und zu begünstigen, schwere Dienstwagen zu fördern und Autobahnprojekte wie die Fehmarn-Belt-Querung zu subventionieren, all das darf künftig nicht mehr möglich sein. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werden ihre Aufmerksamkeit in den nächsten Jahren verstärkt auf die Verbindungsstellen von technischen und kulturellen Veränderungen richten. Eine kritische und konstruktive Technikkultur zu fördern und die gezielte Entwicklung zukunftsfähiger Technologien zu unterstützen und ihre sozial gerechte Nutzung 10 international zu gewährleisten, ist zu einer zentralen politischen Aufgabe geworden. Während die „Energieversorger“ seit 50 Jahren keine wirklich neuen technischen Verfahren entwickelt und sich auf die schrittweise Verbesserung fossiler und atomarer Techniken beschränkt haben, sind die revolutionären Sprünge in der Energietechnik im kulturellen Umfeld der Umweltbewegung entstanden. Die künstliche Trennung von technischer und kultureller Rationalität in Frage zu stellen, technische Entwicklungen auch zum Thema der Feuilletons werden zu lassen und den politischen Umgang mit technischen Entwicklungen öffentlich zur Diskussion zu stellen, ist seit jeher Bestandteil grüner Strategien. Inzwischen ist deutlich geworden, dass Techniken über die globale Zukunft entscheiden – das heißt, es gibt kein verantwortliches Handeln mehr, das ohne klimapolitische Grundlage auskommt. Projekte auf dem Weg zur klimaverträglichen Energieversorgung Besser Leben und gute Arbeit ohne Kohle – Neue Kohlekraftwerke verhindern BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN kämpfen gegen neue Kohlekraftwerke. Denn mit Kohlekraftwerken ist Klimaschutz nicht möglich. Alte fossile Kraftwerke und AKWs müssen nach und nach durch erneuerbare Energien, Energieeinsparungen und Effiziente Technologien ersetzt werden. Jedes neue Kohlekraftwerk und jede Laufzeitverlängerung für AKWs lehnen wir ab. Statt auf diese Uralt-Technologien zu setzen, muss Deutschland jetzt konsequent auf eine zukunftsfähige Energieversorgung setzen und so Arbeitsplätze in Zukunftsbranchen schaffen. Fossil-atomare Technologien kommen fast ohne Arbeitskräfte aus (auf 10 MW Kraftwerksleistung kommt bei modernen Kohle-Meilern gerade noch ein Arbeitsplatz) und lassen viele Milliarden bei internationalen Oligopolen und in intransparenten Systemen versickern. Erneuerbare Energien hingegen ersetzen Emissionen durch Intelligenz und tragen schon jetzt entscheidend zur Verbesserung der Situation auf dem Arbeitsmarkt bei. Nicht nur das Handwerk hat grünen Boden, auch die Industrie der Zukunft wird grün sein. 100% erneuerbare Energien – Die Zukunft in Deutschland früher beginnen Wir setzen auf die enormen Potentiale der neuen Energie-, Effizienz- und Steuerungstechnologien und die Fähigkeit der deutschen Wirtschaft, diese zu entwickeln und zu nutzen. Wie die Energiestudie unserer Bundestagsfraktion (Energie 2.0) zeigt, können wir die Stilllegung atomar-fossiler Kapazitäten mit einer Kombination aus regenerativer Erzeugung, Einsparung und Effizienzverbesserung (KWK) vollständig ausgleichen. Wir wollen unsere Wirtschaft und Lebensweise in wenigen Jahrzehnten auf 100% Erneuerbare 11 umstellen. Das wird viel Kraft, Ideen und viel Geld kosten. Aber es nicht zu tun, kostet viel mehr: Denn der ungebremste Klimawandel hätte wirtschaftliche Folgekosten, die bis zu 20 Mal höher liegen und würde für die Menschen einen Verlust an Lebensqualität bringen, der mit Geld nicht aufzuwiegen wäre. Grüne Klimapolitik wendet sich für dieses Ziel gegen die Macht der Oligopole und fördert neue Infrastrukturen. Als Rückgrat der regenerativen Stromerzeugung und –verteilung fordern BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Bau eines europäischen Gleichstrom-Fernübertragungsnetzes. Diese neue Infrastruktur soll in öffentlicher Verantwortung betrieben werden. Sie beschränkt die Macht der Oligopole über den Netzbetrieb, fördert den Wettbewerb und sichert die großflächige Nutzung regenerativer (Wind- und Solarstrom) Energien in der Grundlast. Die Trennung von Netz und Produktion, die Rückübernahme von Netzen in die kommunale Verantwortung sowie der Aufbau moderner, dezentraler Netzstrukturen („Smart Grids“) sorgen für ein neues Verhältnis zwischen dezentralen und zentralen Strukturen. Um Erneuerbare Energien auch in der Stromerzeugung auf See und in der Wärmeversorgung durchzusetzen, müssen aktuell die entsprechenden Rahmenbedingungen gesetzt werden. Wir brauchen deshalb zeitlich befristet höhere Fördersätze für Offshore-Windenergie, um die gegenwärtige Investitionszurückhaltung zu überwinden. Auch muss endlich das Gesetz zur Förderung der Wärmeerzeugung aus regenerativen Energiequellen auf den Weg gebracht werden, um in diesem Sektor ähnlich hohe und dauerhafte Wachstumsbedingungen sicherzustellen wie im Stromsektor. Klimaschutz gerecht – Modell für einen Öko-Bonus entwickeln Grüne Klimapolitik macht die soziale Dimension unseres Gesellschaftsprojektes sichtbar. Sie verbindet den Kampf gegen den Klimawandel mit der Auseinandersetzung um soziale Gerechtigkeit und stärkt die Entscheidungsfreiheit der Konsumenten. Deshalb arbeiten wir an einem Konzept für einen Öko-Bonus: Einer Abgabe auf den fossilen und atomaren Energieverbrauch in lenkungswirksamer Höhe, zum Beispiel durch eine Ausweitung des Emissionshandels, die den BürgerInnen anschließend in voller Höhe zurückgegeben wird. Während sich aber die Abgabe nach dem individuellen Verbrauch richtet, ist die zurückgezahlte Summe für jeden gleich. Ob Kind, Rentnerin, Multimillionär, Arbeitsloser oder Porschefahrer: Wer wenig Energie verbraucht hat, erhält am Ende des Jahres einen Betrag, der über seinen Abgaben liegt. Vielverbraucher hingegen gehen spürbar ins Minus. Da im statistischen Mittel jene Menschen mehr Energie verbrauchen, die über ein besseres Einkommen verfügen, wird der Klima-Bonus eine 12 Umverteilung von oben nach unten bewirken und dazu beitragen, dass die soziale Schere kleiner wird. Und er wird für alle dazu führen, dass klimafreundliches Verhalten auch finanziell belohnt wird. Vielfalt der Lebensstile erhalten Der Klimawandel ist eine Herausforderung für den Lebensstil aller Menschen. Nur wenn wir den Klimaschutz in unseren Lebensstilen berücksichtigen, können wir sie in ihrer Vielfalt erhalten. Denn die Folgen des Klimawandels drohen unsere Handlungsmöglichkeiten enorm einzuschränken. Nicht nur durch die zunehmenden extremen Wetterereignisse wie Dürren, Überschwemmungen, Tornados, sondern auch im Alltag. Heute verursacht jeder Deutsche durchschnittlich zehn Tonnen CO2 im Jahr, in Zukunft sollten es weniger als zwei Tonnen pro Person sein. Das zu erreichen erfordert nicht nur eine neue Energieversorgung und viele technische Innovationen, sondern auch individuelles Engagement. Mit jeder Entscheidung darüber, wie wir Mobilität genießen, was wir essen, was wir einkaufen, wie wir wohnen, entscheiden wir indirekt immer mit darüber, wie stark wir das Klima mit Treibhausgasen belasten. Information und klimagerechte Preise machen unterschiedliche Schwerpunktsetzungen möglich und gerecht. Grüne Klimapolitik setzt auf optimale Information der VerbraucherInnen. Erst dadurch wird ein funktionierender Markt und werden ökologische Lebensstile praktisch möglich. Bisher ist es recht und billig, Energie zu verschwenden – effizientes und sparsames Handeln dagegen wird durch Informationslücken und technische Hindernisse gebremst. Wir sehen in der Übernahme der Informationskosten und der Verhinderung unnötiger Mehrverbräuche eine Bringschuld des Staates. Anstelle zahlloser Websites und Interessen geleiteter Teilinformationen fordern wir deshalb eine Stiftung Energietest, die die energetische Bewertung von Geräten, Gebäuden und technischen Verfahren zusammenführt. Im Einzelnen umzusetzen sind die staatliche Förderung der energetischen Bewertung von Gebäuden, neue Abrechnungssysteme („Smart metering“) eine freiwillige und kostenlose Energieverbrauchskontrolle durch Stromanbieter im Haushalt, intelligente Netze, ein Top-Runner-Programm für Energie verbrauchende Geräte und vieles mehr. Gleiche Emissionsrechte für alle Grüne Klimapolitik will, dass Kohlendioxid & Co einen Preis erhalten, der starke Anreize zu ihrer Vermeidung gibt, weil sonst unsere Ziele der ökologischen Gerechtigkeit gar nicht erreichbar sind. Die Emissionsrechte sollen nicht vom Staat erteilt, sondern versteigert werden. Deshalb setzen wir 13 uns für eine ehrgeizigere Ausgestaltung des europäischen Emissionshandelssystems ein. Wir wollen, dass die Emissionszertifikate Schritt für Schritt verknappt werden. Im Rahmen des internationalen Kyoto- Prozesses unterstützen wir die Einführung eines Emissionshandels, der auf dem Prinzip gleicher „Emissionsrechte“ für alle Menschen basiert. Im Ergebnis führt ein solches Konzept auch dazu, dass die Entwicklungsländer Klimaschutz nicht länger als Bedrohung, sondern als Form einer fairen Zusammenarbeit sehen. IV. Grüne Mobilität: Lebensqualität zurückerobern Wir brauchen einen völlig neuen Umgang mit Mobilität. Während in anderen Sektoren die CO2- Emissionen - wenn auch zu langsam und nur in wenigen Staaten - kontinuierlich sinken, steigen sie beim Verkehr weiter an. Seit 1990 sind sie in Europa um 25% gestiegen, im Luftverkehr haben sie sich sogar verdoppelt. Künftig werden die Emissionen deshalb bei jeder Mobilitätsentscheidung berücksichtigt werden müssen – ob es um die individuelle Entscheidungen für oder gegen eine Flugreise geht, um die Fahrpreise im öffentlichen Verkehr, den Transport von Gütern oder den Bau eines neuen Autotyps. Für uns Grüne bedeutet Mobilität vor allem auch Lebensqualität. Grenzen überschreitende Bewegungsfreiheit ist eine große Errungenschaft der letzten Jahrzehnte, für die wir uns weiter mit aller Kraft einsetzen. Um diese Errungenschaft zu erhalten ist eine tief greifende Erneuerung der technologischen und kulturellen Mobilitätsstrategien notwendig – für mehr Klimaschutz und mehr Lebensqualität. Damit diese möglich wird, müssen die ökonomischen Rahmenbedingungen für Mobilitätsentscheidungen korrigiert werden. Milliardenschwere Privilegien für klimaschädliche Verkehrsmittel und Infrastrukturen – bzw. für jenen Teil der Bevölkerung, der diese nutzen kann – sind mit Klimaschutz nicht vereinbar. Kritische Öffentlichkeit zu technisch-kulturellen Fragen ist dabei wichtiger denn je. Gegenwärtig werden, um alte Strukturen aufrecht zu erhalten, neue Fehler gemacht. Überdimensionierte Motoren und sinnlose Verschwendung werden als „Luxus“ verkauft, die „Mobilitätseitelkeit“ und die Kaufkraft der Oberschichten gegen die Ernährungsbedürfnisse der Ärmsten und gegen die Erhaltung der Regenwälder in Stellung gebracht, in dem „Biokraftsstoffe“ verwendet werden, deren Herstellung alles andere als ökologisch ist. Weder die Nachhaltigkeitsbewertung von Technologien und technologischen Pfaden noch die Technologiefolgenabschätzung darf aus dem Blick geraten. Das ist gerade auch unsere Aufgabe als Partei der Nachhaltigkeit. Die Verkehrsplanung der Zukunft muss die soziale Gerechtigkeit im Blick haben - schließlich orientiert sich die Verkehrsplanung noch immer zuerst an jenen, die sich ein Auto leisten können. Deshalb wollen wir die Lebensqualität in den Städten durch 14 systematische Unterstützung klimaverträglicher Formen der Mobilität – Fußgänger-, Fahrrad und öffentlicher Verkehr – nachhaltig verbessern. Unsere Verkehrspolitik wendet sich gegen die soziale Spaltung der Städte. Die Verminderung von Lärm- und Abgasemissionen verbessert die Verhältnisse in sozial schwächeren Wohngebieten. Der „Umweltverbund“ klimatisch vernünftiger Mobilitätsinfrastrukturen wird überwiegend von Kindern, älteren Menschen und Menschen mit geringerem Einkommen genutzt. Auch Verkehrsvermeidung dient der Verbesserung der Lebensqualität. Wir wenden uns nicht gegen Mobilität, sondern gegen Infrastrukturzwänge, die unnötige Transporte und überflüssige Wege mit sich bringen. Wir sehen eine technologische Erneuerung hin zur Entwicklung und Nutzung innovativer, klimafreundlicher Automobile (Green Cars) als unverzichtbar an. Dafür muss zugleich der gesellschaftliche Rahmen verändert werden, innerhalb dessen Automobilverkehr stattfindet. Von der Verteilung zwischen den Verkehrsarten bis zu neuen Infrastrukturen für Öffentlichen Verkehr oder Fahrradverkehr, vom Car-Sharing bis zur City-Maut - Veränderung muss das Ganze im Blick haben, nicht nur die Teile. Das Auto lässt sich nur zusammen mit der Infrastruktur verändern, in der es genutzt wird – und mit dem Bewusstsein der Menschen, die sich damit fortbewegen. Schritte und Wege zur CO2-freien Mobilität Lebensqualität in grünen Städten – Stadtmobilität der Zukunft Mobilität braucht neue Wege, nicht neue Straßen. Der Klimawandel erfordert einen Bruch mit den Traditionen deutscher Verkehrspolitik, die noch immer überwiegend Straßenbaupolitik ist. Wir werden deshalb die Lebensqualität der Menschen und nicht den PKWund LKW-Verkehr in der Stadt ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Mehr Freiheit für die Städte bei der Durchsetzung klimafreundlicher Verkehrskonzepte (Tempo 30 innerorts, City-Maut, City-Logistik-Zentren), Freiräume für Festlegung autofreier Tage oder von Parkraumbewirtschaftungszonen – wenn Kommunen mehr Klimaschutz wollen, darf der Bund nicht länger bremsen. Kommunal- und landespolitisch werden wir den Fußgänger- und Fahrradverkehr fördern, „grüne Achsen“ für überörtliche Fahrradverbindungen schaffen, Car-Sharing und Fahrradleihsysteme wie z.B. Call-A-Bike unterstützen, die Rahmenbedingungen für solarelektrische Mobilität, aber auch für autofreie Stadtteile verbessern. 15 Green Car – Individualverkehr klimaverträglich machen Autos werden auch künftig einen hohen Anteil des Verkehrs ausmachen. Gerade im ländlichen Raum ermöglicht manchmal nur das Auto die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. „Klimafreundlich“ bedeutet für uns, dass Bau und Nutzung eines Fahrzeuges mit den Zielen einer globalen Nachhaltigkeit und des Klimaschutzes vereinbar ist. Sparsame Varianten herkömmlicher Autos – vom 5-Liter- (pro 100 km) bis zum 80g- (CO2 pro km) Auto – sind wichtige Zwischenschritte. Solche Einsparungen drohen aber innerhalb kurzer Zeit durch die globale Zunahme der Fahrzeuge kompensiert zu werden. Wir unterstützen demgegenüber Fahrzeug-, Antriebs- und Kraftstoffkonzepte, die tatsächlich CO2-Neutralität ermöglichen, zum Erhalt der biologischen Vielfalt beitragen und mit den entstehenden globalen Stadtkulturen vereinbar sind. Die Umrisse einer klimaverträglichen Autokultur sind bereits erkennbar. Für den Fahrzeugbau geht es um konsequenten Leichtbau und eine Effizienzrevolution bei Antrieben (z. B. solarelektrischer Antrieb). Zugleich sind neue Rahmenbedingungen notwendig. Deshalb fordern wir die Festsetzung einer technisch begrenzten Höchstgeschwindigkeit für Neuzulassungen sowie eine Geschwindigkeitsbegrenzung (Tempo 30 innerorts, Tempo 120 auf Autobahnen), die Schaffung der rechtlichen Voraussetzungen für City-Maut-Systeme, die Unterstützung von Car- Sharing. Beim Übergang zu klimafreundlichen Fahrzeugen setzen wir auf Vielfalt. Es geht uns um die möglichst schnelle Verminderung des Verbrauchs. Zugleich werden wir Sackgassen wie etwa die Ausstattung traditioneller Nobelkarossen mit Wasserstofftanks (mit der Folge einer Vervielfachung der rechnerischen CO2-Emissionen) kritisch benennen. Als Sofortmaßnahmen fordern wir ein Marktanreizprogramm „1 Million Elektroautos bzw. Plug-In-Hybride“ mit einem rechnerischen Kraftstoffverbrauch unter zwei Litern bis 2020. Die Forschungsmittel sollen auf tatsächlich neue und zukunftsfähige Vorhaben konzentriert werden. Auch der verpflichtende Einsatz von Leichtlaufölen und -reifen kann den Rahmen für klimaverträgliche Autokonzepte verbessern. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen eine durchschnittliche Obergrenze für alle neuen PKW ab 2012 von höchstens 120g/km und ab 2020 von 80g/km. Zudem müssen diese Strategien der CO2-Reduzierung auch auf Busse und LKW übertragen werden. Finanziert werden diese Vorhaben durch den Abbau der Subventionen für die CO2-Emission des Straßenverkehrs, insbesondere die Abschaffung des 16 Dienstwagen-Privilegs und die Verschärfung der ökologischen Progression in der Kfz-Steuer durch die Umstellung der Bemessungsgrundlage auf CO2. Die Bahn - Erlösung von fast allen Lastern Die gegenwärtigen Planungen für die Privatisierung der Deutschen Bahn AG gefährden ein zentrales Element klimafreundlicher Verkehrsinfrastruktur. Wir fordern eine Neuorientierung der Bahnpolitik. Die Bahn muss sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr ihre Transportleistung vervielfachen. Dafür muss das Dienstleistungsangebot verbessert, das Schienennetz ausgeweitet und diskriminierungsfreier Wettbewerb auf dem deutschen und europäischen Netz ermöglicht werden. Die Privatisierung bzw. zeitweise Überlassung des Schienennetzes an ein privates Unternehmen kommt aus ordnungspolitischen Gründen für uns nicht in Frage. Vorstellungen, nach denen die Bahn AG privatisiert und als „nationaler Champion“ zum internationalen Logistikkonzern umgebaut werden soll, stehen dieser Orientierung entgegen und werden von uns abgelehnt. Auch die ökonomischen Rahmenbedingungen bedürfen dringend der Korrektur. Laster blockieren nicht nur Autobahnen und Landstraßen, sondern auch einen wirksamen Klimaschutz. Nicht einmal Verbrauchshöchstwerte für LKW sind gegenwärtig vorgesehen. Noch immer werden für alle Schienentransporte Trassenpreise erhoben, die weit über den für die Straße geltenden Mautsätzen liegen. Dabei zeigt das Schweizer Beispiel, dass einer Rückverlagerung von der Straße auf die Schiene selbst in einem hochentwickelten Land im Zentrum Europas keine Utopie ist. Güter gehören auf die Schiene – deshalb fordern wir die Ausweitung der LKW-Maut auf die in der Schweiz geltende Höhe sowie auf alle Straßen und für alle LKW ab 3,5 Tonnen. Um den Umweltvorteil der Bahn und ihre hohe gesellschaftliche Akzeptanz dauerhaft zu sichern, muss dem aktiven und passiven Lärmschutz des Schienenverkehrs in Zukunft ein wesentlich höherer Stellenwert eingeräumt werden. Mobilitätssubventionen abbauen: Flugbenzin besteuern Der Flugverkehr ist der am schnellsten wachsende Verkehrsektor – und eine enorme Belastung für das Klima, weil die Schadstoffemissionen in der Luft mehr als dreimal so schädlich sind wie die des Straßenverkehrs oder der Industrieanlagen. Dass das Taxi zum Flughafen teurer ist als der Flug selbst, ist dennoch kein ökonomisches Wunder – diese Verzerrung der ökologischen und ökonomischen Realität wird durch ein System von Subventionen ermöglicht, von der Steuerfreiheit für Flugbenzin über die 17 Mehrwertsteuerbefreiung für internationale Tickets bis zur staatlichen Förderung von Regionalflughäfen. Über die Einbeziehung des Flugverkehrs in einen europäischen und internationalen Emissionshandel hinaus fordern wir die Abschaffung aller staatlichen Zahlungen für den Flugverkehr und die Durchsetzung einer am Schadenspotential dieses Verkehrsmittels orientierten Kerosinbesteuerung. V. Vielfalt des Lebens Biologische Vielfalt ist für das Leben auf der Erde unentbehrlich. Sie sorgt für unsere Luft zum Atmen, für unser Trinkwasser und für unsere Nahrung, für unser ästhetisches Empfinden und unsere Kultur. Gegenwärtig geht die Vielfalt der Natur infolge menschlicher Aktivitäten (Entwaldung, Flächenkonkurrenz, Überfischung der Meere, Industrialisierung der Landwirtschaft, Schadstoffbelastung der Ökosysteme, fortschreitender Klimawandel) in nie da gewesenem Umfang zurück. In Europa sind bis zu 24% aller Schmetterlinge, Vögel und Säugetiere bereits ausgestorben; ein Sechstel der europäischen Säugetiere ist vom Aussterben bedroht. In Deutschland sind über 72 Prozent der Biotoptypen als gefährdet eingestuft. Im politischen Alltag in Deutschland zählt die Erhaltung der biologischen Vielfalt zu den absoluten Nebenfragen. Tatsächlich wirken sich aber zahllose Entscheidungen in allen Politikbereichen direkt oder indirekt auf die globale biologische Vielfalt aus. Diese Wirkung wird meist weder bemerkt noch wird sie in der Abwägung angemessen gewichtet. Die Beschädigung der biologischen Vielfalt wird als „Nebenfolge“ behandelt und als „zwangsläufig“ angesehen – und entsprechend ignoriert. Hier droht – ähnlich wie bei der Klimakrise – eine Katastrophe, die zwar viele kommen sehen (und vor der wir Bündnisgrünen seit Jahrzehnten warnen) – die aber dennoch die große Öffentlichkeit nicht erreicht. Wir, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, möchten deshalb die Erhaltung der Biologischen Vielfalt ins Zentrum des politischen Geschehens rücken. Nicht nur weil sie für den Klimaschutz unverzichtbar ist und nicht nur wegen der offenkundigen ökonomischen Irrationalität des gegenwärtigen Raubbaus und unserer Achtung für die Entscheidungsfreiheit künftiger Generationen. Der Erhalt von Biodiversität ist auch das Recht derer, die zum Beispiel in Urwäldern oder in der Arktis leben, und ist das vitale Interesse aller, wenn es beispielsweise um die Nutzung der Potenziale der Natur für medizinische Wirkungen geht. Wir sehen im Erhalt und Erlebnis unzerstörter Natur ein elementares Bedürfnis und eine Grundlage unserer Kultur. Viele von uns plädieren für ein „Eigenrecht der Natur“. Deshalb möchten wir den Biodiversitätsschutz zum Querschnittsthema aller relevanten Politikfelder machen. 18 Die UNO hat mit der Internationalen Konvention zum Schutz der Biologischen Vielfalt (CBD) die Erhaltung der biologischen Vielfalt, die nachhaltige Nutzung ihrer Bestandteile und die gerechte Aufteilung der Vorteile aus der Nutzung genetischer Ressourcen zur Aufgabe der gesamten Menschheit erklärt. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach der biologischen Sicherheit – schließlich stellen genveränderte Organismen eine große Bedrohung für die biologische Vielfalt dar. Unsere Politik wird von folgenden Grundsätzen geleitet Vielfalt schützen: Biologische Vielfalt muss durch dauerhaften Schutz gefährdeter Lebensräume und Gebiete sowie durch die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen erhalten werden. Der Ausbau der nationalen, europäischen und globalen Schutzgebietsnetze, die Durchsetzung wirksamer Regeln für den Biodiversitätsschutz in der europäischen Land- und Forstwirtschaft, wirksame Einschränkungen bei der Fischerei und eine Korrektur der Landes- und Verkehrsplanung sind wichtige Schritte. Der Handel mit biodiversitäts-sensitiven Produkten (Holz, Agrartreibstoffe, Futtermittel etc.) sowie der Einsatz von Technologien, die die Artenvielfalt gefährden , muss mindestens ebenso wirksam kontrolliert und beschränkt werden wie der Drogenhandel oder der Handel mit gefährdeten Tieren und Pflanzen. Agrogentechnik, die die Vielfalt auf ein Minimum reduziert und insbesondere die Armen in weitere Abhängigkeit bringt, lehnen wir ab. Vielfalt gerecht nutzen: Handel mit nicht zertifiziertem Holz, Regenwaldrodung für den Anbau von Soja oder Palmöl und die Überfischung der Meere treffen weltweit jene am schlimmsten, die direkt von der Natur leben müssen – die Ärmsten der Armen - und gefährdet so ein Drittel der Menschheit. Die Abholzung tropischer Wälder ist mit der Enteignung ihrer Bewohner verbunden, zerstört ihre Kulturen und Lebensmöglichkeiten – während ihre nachhaltige Nutzung wirtschaftliche Chancen bietet und einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung der Armut leistet. Traditionelle indigene und kleinbäuerliche Bewirtschaftungsverfahren bei der Nutzung zu privilegieren ist deshalb fast überall ein Schritt zur Erhaltung der Biodiversität. Aber auch den Enteignungsstrategien westlicher Konzerne, die biologischen Reichtum für sich privat patentieren und seine Nutzung, selbst für die Völker, die ihre Wirkung entdeckt haben, von Patentgebühren abhängig machen wollen, treten wir entgegen. Vielfalt für das Klima: Ohne wirksamen Schutz der Biodiversität gibt es keinen wirksamen Klimaschutz. Und ohne wirksamen Klimaschutz ist kein Erhalt der Biodiversität möglich. Die Komplexität der Zusammenhänge und der politische Steuerungsbedarf, der sich daraus ergibt, müssen endlich wahrgenommen werden. Gesetzliche Regelungen und staatliches Handeln in allen Bereichen müssen deshalb auf ihre Auswirkungen für die biologische Vielfalt überprüft werden. In vielen Feldern muss der Staat überhaupt erst in die Lage versetzt werden wirksame Strategien zu entwickeln. Der drohende Klimawandel zwingt uns, hierfür endlich die notwendigen Ressourcen bereitzustellen. 19 Vielfalt durch Kultur: Die globale Zerstörung der biologischen Vielfalt wird durch die Lebensweisen in den industriellen Zentren verursacht und beschleunigt. Vom Fleisch- und Fischkonsum über die Bekleidungsmoden bis zum Einsatz seltener Hölzer und Metalle für bestimmte Produkte hängt die Plünderung mit unser aller Alltag zusammen. Zahlreiche Bewegungen und Initiativen versuchen, auf solche Vorgänge aufmerksam zu machen und bessere Praktiken zu ermöglichen. Wir werden uns aktiv in Diskussionen um eine nachhaltige Alltagskultur einmischen. Dabei sind für uns staatliche Regulierungen oder die Korrektur ökonomischer Fehlentwicklungen unverzichtbar – etwa beim Handel mit tropischen Hölzern oder Hölzern aus illegalem Einschlag oder den finanziellen Anreizen für den weltweiten Import von Futtermitteln. Wichtig ist dabei auch die kulturelle Dimension: Es geht uns um Genuss statt Raubbau. Wir wollen diese Lebensweisen weiterentwickeln und mit Gesundheit, Wohlbefinden und Klimaschutz zusammenführen. Die Vielfalt erhalten – Grüne Projekte für die Naturschutzpolitik Ein grünes Netz für Europa - Natur schützen, Wildnis wagen Die EU hat sich mit Natura 2000 zum Ziel gesetzt, das Naturerbe Europas zu erhalten. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern eine konsequente Umsetzung und ausreichende finanzielle Förderung des europäischen Biotopverbundes, damit die Artenvielfalt auch nach der Gebietsausweisung erhalten werden kann. Trotz aller Bemühungen um Naturschutz und Biodiversität schreiten Naturverbrauch, Flächenversiegelung und Verlust an Biodiversität auch in Deutschland und Europa voran. Deshalb droht die EU ihr erklärtes Ziel, das Artensterben bis 2010 zu stoppen, zu verfehlen. Europa muss beim Schutz von Natur und Biodiversität mit gutem Beispiel vorangehen. Nur wer in der Lage ist, die Qualität der eigenen Landschaften, Wälder und Meere zu schützen und ihre Ressourcen dauerhaft zu erhalten, kann glaubwürdig für die Erhaltung von tropischen Wäldern und arktischen Regionen eintreten. Deshalb setzen wir uns für den Erhalt und Ausbau der FFH-Gebiete in Deutschland und Europa ein. Außerdem wollen wir mindestens zehn Prozent der Fläche der Bundesrepublik in einem Biotopverbund zusammenführen. Wir wollen die europäischen Schutzgebiete durch grüne Korridore verbinden und so ein umfassendes Netzwerk der Vielfalt schaffen. Veräußerungen von ökologisch wertvollen Flächen durch die Artenvielfalt und Naturschutz gefährdet werden, lehnen wir ab. Notwendig ist die Verstärkung (in vielen Bundesländern muss man leider bereits von einer notwendigen Neugründung sprechen) der Naturschutzverwaltungen in Deutschland. Die Pflege des Naturreichtums braucht ein kompetentes Management. 20 Genuss statt Raubbau – gesund, ökologisch, gentechnikfrei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN waren und sind die Partei der biologischen Landwirtschaft – und der Veränderung von Lebensstilen. Ein neues Verbraucherverhalten beweist in den letzten Jahren, dass wir damit keine Minderheit mehr sind. Immer mehr Menschen legen Wert auf gesunde und ökologische Lebensmittel. Trotzdem gibt es wachsende Probleme mit falscher Ernährung und Übergewicht, gerade bei Kindern und Jugendlichen. Skandale um Gammelfleisch oder pestizidbelastetes Gemüse verderben vielen Menschen den Appetit. Gleichzeitig droht, vorangetrieben durch die Politik der Bundesregierung, eine schleichende Verunreinigung unserer Nahrung mit Gentechnik. Kein Wunder also, dass der Biomarkt boomt. Doch weil Bund und Länder die Förderung für die ökologische Landwirtschaft gekappt haben, kann die heimische Landwirtschaft den steigenden Bedarf nach Bio immer weniger decken. Diesen Fehlentwicklungen stellen wir eine grüne Politik für gesunden Genuss gegenüber. Wir erleben derzeit einen zunehmenden Druck auf die Ackerflächen weltweit. Es wird immer mehr Fleisch nachgefragt. Schon jetzt werden 30 % der Ackerflächen weltweit für die Fleischproduktion benötigt, die Welternährungsorganisation (FAO) rechnet mit einer annähernden Verdopplung bis 2050. Dieser Trend muss gebrochen werden. Wir können damit beginnen. Die EU-Agrarförderung wollen wir so umstellen, dass verstärkt die gesellschaftlichen Leistungen der Bauern für Natur und Umwelt honoriert werden. Bauern sollen Landwirtschaft, Waldbewirtschaftung und Naturschutz gemeinsam erreichen können. Die intensive konventionelle Landwirtschaft ist einer der großen Verursacher des Klimawandels, auch sie muss ökologisiert werden, muss einen großen CO2-Senkungsbeitrag erbringen. Wir wollen die ökologisch bewirtschafteten Flächen durch eine konsequente Förderung bis 2020 deutlich steigern. Wegen der höheren Artenvielfalt durch den Ökologischen Landbau und der besseren Klimabilanz wollen wir langfristig die gesamte Fläche nach ökologischen Kriterien bewirtschaften. Die nächsten Jahre entscheiden darüber, ob VerbraucherInnen auch in Zukunft noch die Wahl haben werden zwischen gen-veränderten und natürlichen Lebensmitteln. Deshalb kämpfen wir für den Erhalt der gentechnikfreien Landwirtschaft und für die Wahlfreiheit der VerbraucherInnen durch eine strikte Gentechnik-Kennzeichnung, scharfe Grenzwerte, Risikoforschung und die Förderung gentechnikfreier Regionen. Im Kampf gegen Lebensmittelskandale setzen wir auf bessere und zielgenauere Kontrollen sowie auf eine offensive Politik der Verbraucherinformation. Auf Lebensmitteln muss ihre CO2-Bilanz erkennbar sein. 21 Gegen eine Monopolisierung der biologischen Vielfalt Biopatente und Biopiraterie sind eine große Bedrohung der biologischen Vielfalt – sowohl hinsichtlich ihres Schutzes als auch hinsichtlich des gerechten Zugangs zur biologischen Vielfalt. Bisher waren Tiere, Pflanzen, Mikroorganismen und menschlichen Gene von der Patentierung ausgeschlossen. Mit dem TRIPs-Abkommen der WTO wurde ein internationales Abkommen geschaffen, das dazu führt, dass der kostenlose Zugang zu den biologischen Ressourcen von multinationalen Konzernen genutzt wird, um sich Monopole zu sichern. Viele ärmere Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas sehen mit großer Sorge, dass sie durch Patente vom technischen Fortschritt abgeschnitten werden könnten – und zugleich die Kontrolle über die eigenen genetischen Ressourcen an multinationale Konzerne verlieren. Darum muss im internationalen Recht sichergestellt werden, dass die Interessen dieser Länder nicht übergangen werden und die Souveränität der indigenen Völker und lokalen Gemeinschaften über ihre biologischen Ressourcen durch faire und effektive Regelungen wieder hergestellt und abgesichert werden. Auch muss sichergestellt werden, dass keine biologischen Ressourcen ohne Information und Einverständnis der Ursprungseigner gesammelt und außer Landes gebracht werden dürfen. Die Verträge des „International Plant Exchange Network, IPEN“, die u. a. von den deutschen Botanischen Gärten erarbeitet wurden, sind ein positives Modell für mögliche vertragliche Grundlagen im Rahmen taxonomischer Sammlungen, mit denen die Pflanzen- und Tierarten inventarisiert werden können. Derartige Sammlungen sollten jedoch nur in Ländern angelegt werden, die die Konvention über biologische Vielfalt unterzeichnet haben, da andernfalls die zum Schutz der Biologischen Vielfalt festgelegten Regelungen der Konvention wie zum Beispiel die Pflichten der Vertragsstaaten, die Rechte der Ursprungseigner der biologischen Ressourcen anzuerkennen, unterlaufen werden können. Schluss mit dem Import klimazerstörender Produkte Die Schäden durch Zerstörung der biologischen Vielfalt sind immens, die Verluste sind unwiederbringlich. Die Vorteile hingegen sind vergleichsweise gering und kommen meist nur kleinen Minderheiten zugute. Durch den Boykott von Tropenholz und andere freiwillige Aktivitäten haben viele Menschen den Raubbau zu begrenzen versucht. Angesichts des Umfangs und der Dynamik der globalen Zerstörung reicht das nicht mehr aus. Die 22 Verbraucher haben ein Recht auf eine einfache und verständliche Information am Produkt. Diese muss verbindlich sein und unter staatlicher Kontrolle wahrgenommen werden. Wir fordern deshalb die umgehende Schaffung der rechtlichen und institutionellen Voraussetzungen, damit ein rechtlich verbindliches Zertifizierungsverfahren für Hölzer und für andere Produkte aus klima- und biodiversitätssensiblen Produktionssektoren möglich wird. Für nicht zertifiziertes Tropenholz sowie für Produkte aus Gebieten, die nach dem 1.1. 2000 abgeholzt wurden, verlangen wir ein sofortiges Import- und Handelsverbot. Um die Verschärfung der Klimakrise durch Maßnahmen, die sie eigentlich bekämpfen sollten, zu verhindern, fordern wir ein Importverbot für nicht zertifizierte Agrarkraftstoffe. Dasselbe gilt für Produkte aus den EU-Staaten, etwa Torf aus dem Baltikum, der im deutschen Gartenbau eingesetzt wird und eine zusätzliche CO2-Freisetzung bewirkt: Wir fordern die Aufnahme von Verhandlungen mit EU- und WTO, um den Klimaschutz und die biologische Vielfalt zum Bestandteil des globalen Handelssystems zu machen. VI. Schlussbemerkung Die bisherige Strategie vieler Regierungen, auch in Deutschland, für die Bekämpfung des Klimawandels ist unbrauchbar. Mit großem rhetorischem Pathos werden Maßnahmen vorgegaukelt, doch mit hohem finanziellem Aufwand letztlich untaugliche zentrale Technologien gefördert. Man zeigt sich sehr besorgt und setzt hohe Zielmarken– aber man verzichtet auf die Einführung angemessener Instrumente zur Zielerreichung. Andere Akteure ignorieren das Problem oder verfallen in Resignation. Für uns, Bündnis 90/Die Grünen, kommt keine dieser Strategien in Frage. Wir müssen schnell und konsequent auf einen klimafreundlichen Pfad in das solare Zeitalter der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz einschwenken. Uns ist bewusst, dass die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen, wiewohl sie an der Spitze des heutigen Standes der Diskussion stehen, schon mittelfristig von der klimatischen Entwicklung überholt werden können, vor allem dann, wenn sie nicht schnell realisiert werden. Es steht dann zu befürchten, dass die Abwendung des planetarischen Notstands "Klimawandel" gesamtgesellschaftliche Anstrengungen erfordert, die erheblich weiter gehen. Die in diesem Papier dargestellten Überlegungen und Projekte zielen letztlich auf eine völlige Umgestaltung der Industriegesellschaft, wie sie sich in den letzten 200 Jahren entwickelt und über den Globus ausgebreitet hat - ihrer Basistechnologien, ihrer 23 Infrastrukturen, ihrer normativen Grundlagen und ihrer Kultur. Ohne eine solche Veränderung wird es nicht möglich sein, sich von der fossilen Basis dieser Gesellschaft zu entkoppeln und neue, emissionsfreie Strukturen aufzubauen. Dass dies in jedem Einzelfall im Konsens aller Beteiligten und ohne größere politische Konflikte zu haben sei, glauben wir nicht – und wir scheuen auch diese Konflikte nicht. Die anstehenden Konflikte werden nur gelöst werden, wenn die Politik klare Ziele und Rahmenbedingungen für die nächsten Jahrzehnte setzt. Die Abkehr von der atomarfossilen Energiebasis ist die Grundlage jeder erfolgversprechenden Politik und wird in der Wirtschaft zu einem bisher nicht vorstellbaren Innovationsschub führen. Wir Grüne fühlen uns den Bürgerinnen und Bürgern verpflichtet dafür zu sorgen, dass Klimapolitik bestehende soziale Ungleichheiten vermindert und nicht verstärkt. Auf diese Weise wird die Akzeptanz für ökologische Politik gestärkt und werden die kreativen Kräfte der Gesellschaft geweckt. Der Kampf gegen den Klimawandel und der Verlust der biologischen Vielfalt gehen weit über Parteigrenzen hinaus, betreffen sie doch die Grundlage jeder Politik selbst. Wir wollen unsere Rolle als treibende Kraft in diesem Bereich weiter ausbauen. Deshalb suchen wir den Dialog mit allen, die bei dieser großen Aufgabe mitwirken – über Partei- und Koalitionsgrenzen hinaus. Wir möchten deshalb an alle Bürgerinnen und Bürger appellieren ihre Handlungsmöglichkeiten zu nutzen. Wir brauchen eine Bürgerbewegung für Klimaschutz. Es wird notwendig sein auch Gewohnheiten umzustellen, selbstverständliche Bequemlichkeiten infrage zu stellen, neue finanzielle Prioritäten zu setzen, um das gemeinsame Ziel zu erreichen. Manche nennen das Opfer, wir nennen das Gewinn – auch an sozialer Gerechtigkeit. Nur in einer großen, gemeinsamen Anstrengung – die am Ende in eine globale Anstrengung einmünden muss – wird es möglich sein, unsere Gesellschaft schließlich klimaverträglich und lebensfreundlich zu gestalten und das solare Zeitalter einzuläuten.